Interview mit Jón Philipp von Linden

Wir freuen uns sehr euch ein anderes Interview als sonst präsentieren zu dürfen. Diesmal haben wir keinen Darsteller mit Fragen gelöchert, sondern den Dramaturg Jón Philipp von Linden.

Wir wünschen euch viel Spaß bei dem interessanten Interview.

 

MF: Können Sie sich bitte zunächst kurz vorstellen?

 

Jón Philipp von Linden (JL): Aber gern. Ich arbeite als Dramaturg für Musiktheater und Konzert am Theater Bielefeld – bereits das zweite Mal. Von 2006 bis 2013 war ich in derselben Position hier, nun bin ich im Sommer 2016 aus Chemnitz zurückgekehrt, wo ich drei Jahre lang am Opernhaus in ähnlicher Position tätig war. Studiert habe ich in Hamburg und Wien, danach habe ich meine erste Stelle als Regieassistent am Bremer Theater angetreten. Als Dramaturg bin ich anschließend an das Mainfranken Theater Würzburg und das Staatstheater Mainz gegangen.

 

 

MF: Wie würden Sie ihre Arbeit im Theater Bielefeld beschreiben?

 

JL: Was meinen Aufgabenbereich angeht: Wir Dramaturgen sind an der Spielplanung beteiligt, machen Vorschläge für Stücke, Regieteams und gelegentlich auch für Darstellerinnen und Darsteller. Außerdem arbeiten wir eng mit der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zusammen, wenn es um Vermittlung geht, d. h. wir schreiben Ankündigungstexte für die Homepage und stellen Programmhefte zusammen, außerdem halten wir Einführungsveranstaltungen und Nachgespräche, sind also im ständigen Dialog mit unserem Publikum. Im Musiktheater sind wir außerdem für das Notenmaterial mitverantwortlich, ebenso für die Übermittelung. Ein weiteres zentrales Aufgabenfeld ist die Zusammenarbeit mit dem Regieteam: Was interessiert uns am betreffenden Stück? Welche Motivationen könnten die Figuren noch haben außer denen, die aus Text und Musik hervorgehen? In welcher Ästhetik wollen wir die Geschichte auf die Bühne bringen und warum? Was die Arbeit am Theater Bielefeld betrifft: Ich schätze die kollegiale Atmosphäre, die durch die kurzen Wege begünstigt wird, außerdem die flache Hierarchie und Teamkompetenz, die vom Intendanten Michael Heicks vorgelebt wird

 

 

MF: Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?

 

JL: Ganz klar fasziniert mich die Beschäftigung mit künstlerischen Inhalten, die Chance, mitgestalten zu können, die Zusammenarbeit mit vielen geschätzten Kolleginnen und Kollegen, außerdem der ganz eigene Rhythmus, den Theaterarbeit hat: Von Premiere zu Premiere, gebündelt nach Spielzeiten – das hat zugleich etwas Regelmäßiges und immer wieder auch komplett Neues, insofern viele Gäste bei uns arbeiten, die regelmäßig frischen Wind und neue Ideen ins Haus bringen.

 

 

MF: Welches Projekt, was Sie betreuen durften, fanden Sie bislang am spannendsten?

 

JL: Eines zu nennen hieße viele andere herabzusetzen. Das Schöne an meinem Beruf ist, dass ich immer wieder mit ganz unterschiedlichen Projekten zu tun habe, die mich tatsächlich sehr begeistern. Und diese Begeisterung kann ich zum Glück weitergeben. Daher wäre meine Hitliste der tollsten Erfahrungen nach nunmehr knapp 21 Jahren Berufserfahrung sehr, sehr lang. Da wir hier in einem Musical-Portal sind: Als besondere Momente habe ich City of Angels, Company und The Birds of Alfred Hitchcock in Erinnerung, Bill Murtas vorangegangene Musical-Uraufführung hier am Theater Bielefeld. Außerdem The Scarlet Pimpernel, eine weitere Bielefelder Produktion, die wir nach sechs Jahren in Chemnitz haben wiederaufleben lassen. Auch The Who’s Tommy hat mir hier viel Spaß gemacht, und nicht nur mir.

 

 

MF: Hat sich durch Ihre Arbeit der Blickwinkel auf die Theaterwelt, insbesondere auf Musicals verändert? Besuchen Sie privat auch das Theater?

 

JL: Um mit der zweiten Frage anzufangen: Ja, natürlich. Anders gesagt, ich kann gar nicht „rein dienstlich“ in eine Vorstellung gehen, da steckt immer auch private Leidenschaft dahinter. Was den Blickwinkel betrifft: Es wäre doch höchst merkwürdig, wenn sich durch meine Arbeit in meiner Wahrnehmung nichts verändert hätte. Durch den hohen Stellenwert, den die Gattung Musical hier am Theater Bielefeld schon lange hat, habe ich mich rasch davon begeistern lassen. Das hat sich in Chemnitz übrigens eins zu eins fortgesetzt. Man darf auch nicht übersehen, dass Musical im deutschsprachigen Raum die jüngste Theatergattung ist, die in den letzten dreißig Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht hat. Man sieht das nicht nur an den Spielplänen, die von Jahr zu Jahr vielfältiger, mutiger und ideenreicher werden, sondern auch an den Hochschulen, die Musical-Studiengänge anbieten. Das Niveau, auf dem dort ausgebildet wird, ist enorm hoch; ich bewundere das sehr. Diese Entwicklung mit zu verfolgen und gelegentlich sogar dran teilnehmen zu können, ist schon ein großes Geschenk.

 

 

MF: Wofür stehen für Sie Musicals?

 

JL: Für lebendige, berührende Theaterabende, bei denen der Show-Charakter besonders hervortritt und immer wieder für großartige Überraschungsmomente sorgt. Im Idealfall sind Musicals einzigartige Unterhaltung auf höchstem Niveau. –

 

(c) Jón Philipp von Linden

MF: Derzeit sind Sie an der Uraufführung von „Das Molekül“ beteiligt. Was hat Sie an dem Stück besonders gefesselt, sodass nun die Uraufführung im Theater Bielefeld stattfinden kann?

 

JL: Zum einen bewundere ich Bill Murta für sein enormes schöpferisches Vermögen, was Musicals angeht – das gilt fürs Einstudieren, Arrangieren, Musizieren und Dirigieren vorhandener Stücke genauso wie fürs Komponieren: Er hat’s einfach drauf. Zum andern freue ich mich, dass er gerade nicht auf ein „Mainstream“-Thema gesetzt hat, eine Eigenschaft, die man dem Musical ja ohnehin viel zu oft vorwirft, sondern mit dem Wissenschafts-Stoff einer eigenen Leidenschaft gefolgt ist. Nach meinem Gefühl liegt dieses Thema irgendwie „in der Luft“: DNA ist ein Begriff, der mittlerweile in jedem Krimi eine Hauptrolle spielt, Science Shows erfreuen sich ohnehin zunehmender Beliebtheit, ob nun beim FameLab oder bei der Bielefelder „Geniale“, die diesen Sommer wieder stattfindet. Und hinter allem stecken dann doch Menschen mit ihren Gefühlen, und für die hat Bill Murta einmal mehr großartige Songs geschrieben, zumal er von vornherein wusste, wer mitspielen wird: Carolin Soyka, Roberta Valentini, Alexander Franzen, Thomas Klotz, Carlos Rivas und Veit Schäfermeier haben allesamt hier in Bielefeld schon tolle Musical-Hauptrollen hingelegt, und es ist geradezu ein Fest, sie alle in einer Uraufführung als Ensemble zu erleben!

 

 

MF: Wie, denken Sie, wird sich die Musicalbranche entwickeln in Bezug auf die derzeitigen Marktführer und die Stadttheater?

 

JL: Ich habe leider viel zu wenig Anhaltspunkte, um hier irgendeine Prognose formulieren zu können. Schön wäre es, wenn die Entwicklung, die ich oben beschrieben habe, weiterginge und Theater sich noch mehr trauten, auch unbekanntere oder ganz neue Musicals auf die Spielpläne zu setzen.

 

 

MF: Was möchten Sie den Lesern noch mit auf dem Weg geben?

 

JL: Naja, natürlich: Kommt nach Bielefeld und schaut Euch „Das Molekül“ an. Es lohnt sich!

 

Vielen lieben dank an Sie, dass Sie sich die Zeit genommen haben die Fragen zu beantworten!!

 

Stay Wicked

Eure Pia

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