Premiere: "Frühlings Erwachen" am 18.05.2018 im Theater Bielefeld

Nun kam auch das zweite neue Musical der aktuellen Spielzeit in Bielefeld zur Premiere. „Frühlings

 

Erwachen“ ist ein Musical von Duncan Sheik und Steven Sater, welches auf dem gleichnamigen

 

Drama von Frank Wedekind basiert. Das Stück spielt im späten 19. Jahrhunderts in Deutschland. Eine Zeit in der man in Kleinstädten nicht über das Making-of des Erwachsenwerdens sprach. Es wird von einer Gruppe Jugendlicher erzählt, die mit dem Kopf durch die Wand wollen. Dabei haben sie schon längst die erstarrten Moralvorstellungen ihrer Eltern und Lehrer zerbrochen und versuchen selber Antworten auf die Fragen über das Erwachsenwerdens zu finden. Die Sehnsucht nach Freiheit wird greifbar als kollektiver Hilferuf einer ganzen Generation nach Akzeptanz. Probleme wie körperlicher Missbrauch, psychische Überforderung, ungewollte Schwangerschaft oder Selbstmord sind nicht nur Probleme der damaligen Jugend, sondern auch heute noch aktuell. Dennoch sind die heutigen Jugendlichen viel aufgeklärter als zum Ende des 19. Jahrhunderts. 

 

In der Inszenierung von Christian Müller wurde sich bewusst dazu entschieden, die Rollen der Jugendlichen mit jungen Leuten aus der Region und lediglich drei Rollen mit professionellen Darstellern zu besetzen. Hier gilt es zu nennen: Michaela Duhme als Wendla, Benedikt Ivo als Melchior und Marvin Kobus Schütt als Moritz. 

Das Bühnenbild von Zahava Rodrigo wurde von einer recht steilen Schräge dominiert. Auf dieser Schräge ist sind vier Säulen abgebildet. Dieses Bild spiegelt sich auf den drei Tüchern wieder, die den Bühnenbereich eingrenzen. Das Ganze wird in seinem abstrakten Erscheinen von einem blauen Bühnenboden abgerundet. Zahava Rodrigo entwarf ebenfalls das Kostümbild. Dabei gab sie jedem Jugendlichen einen ziemlich individuellen Kleidungsstil und zeigen bei manchen Kostümen vergleichbar viel Haut. Dafür, dass das Stück im 19. Jahrhundert spielt, finde ich dies sehr fraglich.  Zwar möchten sie den Zwängen der Eltern entfliehen, aber trotzdem sind die Mauern noch immer da. Die beiden Erwachsenen wurden mit schwarzer Kleidung, Lack Plateau-Schuhen ausgestattet und verschiedenen Clowns Masken. Diese Masken waren, wie ich bei der Premierenfeier erfuhr, ein spezieller Wunsch des Regisseurs, aber wirklich erzählen tun sie leider nichts und die beiden Darsteller Melanie Kreuter und Martin Christoph Rönnebeck muss man nun wirklich nicht hinter Masken verstecken. Auch wenn sie verschiedene Erwachsenen darstellen, hätte man dies auch über Mimik und z.B. Perücken Wechsel eindrucksvoll bewerkstelligen können. 

 

Christian Müllers Konzept ist an einigen Stellen schleierhaft. So lässt Müller Wendla zu Beginn des Stückes eine Weile über die Schräge irren, ohne dass für den Zuschauer eine erklärbare Motivation dahinter steckt. Im weiteren Verlauf des 1. Aktes ist eigentlich immer das Ensemble der Jugendlichen auf der Bühne vertreten, egal ob es schlüssig ist für die Szene oder nicht. Dabei werden Gesangsparts mit meist fraglichen Choreografien von Isabelle von Gatterburg zertanzt. In den Szenen, wo sie nicht singen sieht man sie beispielsweise mit dem Rücken zum Publikum sitzend auf der Schräge oder unter, der sich dann drehenden Schräge wie sie kleine Spielchen machen. Bei Songs, die sich stark von der Dialogsprache abheben, ließ Müller die Jugendlichen zu einem Standmikro greifen. Auch dies wirkte im ersten Moment sehr abstrakt. Jedoch konnte so ein genauer Fokus auf die junge Person gerichtet werden, die gerade ihr Leid klagte. Allerdings wurde bei dem Lied von Moritz vor seinem Selbstmord zusätzlich zum Standmikro eine Beleuchtung runtergelassen, die an ein Rockkonzert erinnert und die Zuschauer blendete. Zudem wurde der Orchstergraben völlig motivationslos hochgefahren. Doch der absurdeste Moment war, das Herunterlassen einer riesigen Hand mit einem ausgestreckten Finger, der fast alle Jungs und Mädels einmal streifte. Mal abgesehen davon, dass diese Hand überhaupt nicht in das Bühnenbild passt, gehört auch dies nicht wirklich in das Stück. Denn dieses sanfte Streifen kommt einem Symbol für körperliche Gewalt nicht im Ansatz nahe.  Müller kreierte schöne ruhige Momente zwischen Melchior und Wendla wie bei dem Lied “Ich hab mich verwundet”. Hier zeigten Beide eine berührende Modern Dance Choreografie an der Spitze der Schräge. In der letzten Szene vor der Pause entsteht ein weiterer ruhiger Moment zwischen ihnen. Nur endet es damit, dass Wendla und Melchoir hochgezogen werden. Dass Liebe so stark beflügeln kann ist auch selten. Zum Beginn des zweiten Aktes kommen sie  dann natürlich auch wieder runter geflogen. Im Gesamten ist der zweite Akt angenehm ruhiger und stimmiger als der erste Teil. Hier und da fällt auch tatsächlich mal eine Clownsmaske der Erwachsenen. 

 

Die Darsteller egal ob Profi oder nicht, stecken alle Herzblut in ihre Rollen. In dieser intensiven Probenzeit, sind sie zu einem Team geworden, welches auf der Bühne gut zusammen spielt. Natürlich stechen die drei Profis Michaela Duhme, Benedikt Ivo und Marvin Kobus Schütt mit ihrer Stimme und ihrer Bühnenpräsenz hervor. Dadurch ist für mich das Terzt der Drei im 2. Akt das Highlight an dem Stück. Das Zusammenspiel von Michaela und Benedikt in den ruhigeren Momenten ist wunderschön anzusehen. Dort spürt man einfach die starke Harmonie der Beiden. Unter den Jugendlichen sind bestimmt einige Jungs und Mädels dabei, die in ein paar Jahren die Chance haben in anderen Produktionen vielleicht schon als Profi auf der Bühne stehen. Denn sie konnten alle ziemlich gut  mit den Profis mithalten.

Es ist eine tolle Möglichkeit, die das Theater Bielefeld mit dem Stück den Jugendlichen der Region gegeben hat. Es ist eine Art Experiment und auf Darstellerischer Seite ist es eigentlich gelungen. Auch wenn die Inszenierung mehrere Schwachstellen hat, füllen die Jugendlichen ihre Rolle aus. Es ist großartig zusehen, dass sie den Mut und das Selbstbewusstsein haben mit so einem Gesellschaftskritischen Stück auf die Bühne zu gehen. 

Stay Wicked

Eure Pia

Das Copyright aller Fotos liegt bei Bettina Stöss.